Beitrag von:
Prof. Dr. Axel Buether
Veröffentlicht in:
Bewegte Welt // bewegte Bilder, kopaed 2018
Was ist ein Lernfilm?
Der Begriff des Lernfilms ist bisher in den Wissenschaften noch nicht klar umrissen, weshalb ich diese Definition aus Perspektive der Didaktik vornehmen möchte.
Inhaltsverzeichnis Kapitel:
Theorie des Lernfilms
- Was ist ein Lernfilm?
- In welchem Verhältnis stehen Lehrpersönlichkeit und Autorschaft?
- Warum müssen Lernfilme interessant, unterhaltsam und überzeugend sein?
- Wie lässt sich das Bildungspotenzial von Lernfilmen für den Lernerfolg aktivieren?
- Welche Bedeutung hat die Zielgruppe für die erfolgreiche Konzeption von Lernfilmen?
- Wodurch unterscheiden sich wissenschaftliche und künstlerische Lernfilme?
- Wie lässt sich das Potenzial des Lernfilms für die Wissenskommunikation nutzen?
- Welchen Beitrag leistet die Lernfilmrezeption für die allgemeine und fachliche Bildung?
- Welchen Beitrag leistet die Lernfilmproduktion für die Fach- und Medienkompetenz?
Rhetorische Gestaltung von Lernfilmen
- Was ist Filmrhetorik und worin liegt ihr Nutzen für den Lernfilm?
- Drei Methoden der Lernfilmrhetorik
- Fünf Entwurfsphasen der Lernfilmrhetorik
- Die Ästhetik des Lernfilms — Rhetorische Stilfiguren
- Auswahl wichtiger rhetorischer Gestaltungsmittel
Fazit:
10 didaktische Kriterien für die Definition von Lernfilmen:
- Lernfilme sind audiovisuelle Medien, deren Produktion und Rezeption primär der Förderung von Lehr- und Lernprozessen dienen.
- Lernfilme sind audiovisuelle Medien, die das zielgerichtete und methodengeleitete Erreichen von Lernzielen ermöglichen.
- Das analytische Potenzial von Lernfilmen fördert die Wissensvermittlung und Erfahrungsbildung und ermöglicht die Erklärung und Veranschaulichung von Ereignissen, Prozesszusammenhängen und Erkenntnissen.
- Das künstlerische Potenzial von Lernfilmen fördert Verstehensprozesse und ermöglicht die ästhetische, soziale, kulturelle Bildung der Persönlichkeit.
- Zu den Kennzeichen von Lernfilmen gehören die „klare Erkennbarkeit des Lernziels“, die „resonanzerzeugende Adressierung der Zielgruppe“, die „didaktische Effektivität der Lehrmethode“, die „verständliche Vermittlung von Inhalten“, die „sachdienliche Erzeugung von Aufmerksamkeit“, die „anhaltende Nachhaltigkeit der Lernprozesse“ und die „kriteriengeleitete Überprüfbarkeit des Lernerfolgs“.
- Die Adressierung der Zielgruppe bildet den Ausgangs- und Fixpunkt bei der Konzeption und Produktion von Lernfilmen, deren Interessen und Rezeptionsfähigkeiten von individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Sozialisierung, Bildung, Kultur, Religion, Familie und Herkunft bestimmt werden.
- Der Einsatz von gestalterischen und technischen Mitteln, wie Bild, Ton, Sprache, Bewegung, Perspektive, Farbe, Licht, Ort und Zeit, Schauspiel, Dramaturgie, Kamera und Schnitt, dient im Lernfilm primär dem Lernerfolg.
- Grundsätzlich lassen sich wissenschaftliche und künstlerische Formen von Lernfilmen unterscheiden, die in Bezug auf Bildungsziel, Methodik und Ästhetik charakterisierbar sind. Mischformen sind sinnvoll, wenn sie den Lernerfolg fördern.
- Bei wissenschaftlichen Lernfilmen wird das Lernziel in Form einer klar verständlichen Fragestellung definiert. Der Inhalt spiegelt den Stand von Theorie, Forschung und Praxis im ausgewählten Themenfeld wieder. Subjektive Meinungen müssen als solche erkennbar bleiben. Aussagen müssen durch Quellen belegt sein. Die fachliche Richtigkeit darf durch inhaltliche Reduktion und künstlerische Mittel nicht beeinträchtigt werden. Der Inhalt wird soweit didaktisch reduziert, dass die Beantwortung der Fragestellung am Ende klar und eindeutig möglich ist.
- Bei künstlerischen Lernfilmen wird das Lernziel von den Wirkungen definiert, die durch Rezeption und Produktion bei Lehrenden und Lernenden erreicht werden. Die beabsichtigten Wirkungen (Lernziel) werden von der Intentionalität der Verfasser bestimmt. Der Lernerfolg zeigt sich an den Reaktionen der Rezipienten. Da der Lernprozess bei künstlerischen Lernfilmen weitgehend implizit erfolgt, muss dieser zur Initiierung von Verstehensprozessen und Sicherung des Lernerfolgs durch didaktische Mittel wie gemeinsame Filmbesprechungen, eigenständige Filmanalysen, Interpretationen oder gestalterische Interventionen expliziert werden.
10 didaktische Kriterien für die erfolgreiche Gestaltung von Lernfilmen
- Thema bestimmen
Am Anfang jeder Lernfilmkonzeption steht die Themenfindung. Der Inhalt muss narrativ strukturierbar und anschaulich vermittelbar sein. Audiovisuelle Medien haben eine lineare Erzählstruktur, die zeitliche, räumliche und thematische Sprünge zulässt. - Lernziel bestimmen und Fragestellung entwickeln
Das Lernziel soll in Form einer verständlichen Fragestellung formuliert werden, an der sich alle weiteren Lernphasen bis zur vollständigen und schlüssigen Beantwortung orientieren. Die Konzeption, Gestaltung und Produktion von Lernfilmen dienen dem Erreichen des Lernziels und der nachhaltigen Sicherung des Lernerfolgs. - Didaktische Reduktion der Lerneinheit
Jeder Lernfilm ist eine in sich abgeschlossene Lerneinheit, die das Erreichen eines vorher definierten Lernziels ermöglicht. Mittels didaktischer Reduktion der Komplexität von Fragestellung und Inhalten muss sichergestellt werden, dass der angestrebte Lernerfolg erreichbar ist. Inhalte, die zur Beantwortung der Fragestellung notwendig sind, müssen bestimmt, sprachlich strukturiert und anschaulich dargestellt werden. Die Anordnung der Inhalte muss so erfolgen, dass ein nachhaltiger Lernerfolg gewährleistet werden kann. Formen und Inhalte, die zur Beantwortung der Fragestellung unnötig sind, sollten komplett weggelassen oder alternativ in einem weiteren Lernfilm vermittelt werden. Die Quantität der notwendigen Inhalte und damit die Länge des Lernfilms lassen sich durch die Eingrenzung und Erweiterung der Fragestellung steuern. Mit der Problemlösung können weitere Aspekte, Varianten und Wege zum Ziel vermittelt werden. Fachbegriffe wie fachspezifische Bilder und Grafiken müssen erklärt werden, wo Fachkenntnisse und Vorerfahrungen nicht vorausgesetzt werden können. Ungeklärte Fragen sollten nur dann im Raum verbleiben, wenn ein anschließender Diskurs erfolgt, eine Fortsetzung in Form einer Lernfilmreihe geplant ist oder weiterführende Quellen genannt werden. - Wahl der Vermittlungsmethode
Das Thema entscheidet über die Vermittlungsmethode. Das analytische Potenzial von Lernfilmen lässt sich besonders effektiv zur Vermittlung wissenschaftlicher Themenstellungen nutzbar machen. Analytisch strukturierte Lernfilme fördern die Wissensvermittlung und Erfahrungsbildung und ermöglichen die Erklärung und Veranschaulichung von Ereignissen, Prozesszusammenhängen und Erkenntnissen. Das analytische Potenzial von Lernfilmen lässt sich besonders effektiv zur Anregung von Verstehensprozessen nutzbar machen. Künstlerisch strukturierte Lernfilme fördern die ästhetische, soziale, kulturelle Bildung der Persönlichkeit. - Titel, Titelbild und Inhaltsangabe
Titel, Titelbild und Inhaltsangabe (Abstract) eines Lernfilms müssen so gestaltet sein, dass die Interessen der Zielgruppe erfolgreich angesprochen werden und das Lernziel erkennbar wird. Die Einbeziehung und Angabe von Schlagworten erregt Aufmerksamkeit und erleichtert Menschen wie Algorithmen die Suche. - Zielgruppenanalyse
Lernfilme werden für Zielgruppen von Lernenden gemacht, obgleich selbstverständlich auch ganz andere Rezipienten davon profitieren können. Die für den Bildungserfolg notwendige neugierige und wissbegierige Grundhaltung der Zielgruppe darf nicht vorausgesetzt, sondern muss durch Inhalt und Dramaturgie des Lernfilms erzeugt werden. Form und Inhalt eines Lernfilms müssen so bestimmt und gestaltet werden, dass sie das Erreichen des Lernziels und die nachhaltige Sicherung des Lernerfolgs bei der anvisierten Zielgruppe optimal fördern. Lernfilme müssen für die Zielgruppe der anvisierten Lernenden verständlich, interessant und unterhaltsam gestaltet sein. - Ästhetische Gestaltung und Rhetorik
Die Ästhetik des Lernfilms bestimmt die Form der Wahrnehmung, die wiederum auf den Inhalt zurückwirkt. Die Art und Weise wie etwas zur Sprache und Anschauung gebracht wird, bestimmt das Werturteil der Rezipienten. Durch Vernachlässigung der Formebene in der Lernfilmgestaltung können wichtige Aussagen verfälscht werden oder ganz verloren gehen. Die Rhetorik bzw. „Redekunst“ ist ein bewährtes Mittel zur ästhetischen Gestaltung sprachlich strukturierter Inhalte, das sich in der hier beschriebenen Form auch für die Gestaltung von Lernfilmen eignet. Niemand kann zum Lernen gezwungen werden, was schon lange bekannt und durch den Stand der Neurowissenschaften zudem belegt ist. Lernfilme gründen auf der Kunst, ihr Zielpublikum durch wirksame Argumente vom Lernen zu überzeugen. Kognitive und emotionale Faktoren wie Neugier, Spieltrieb, Wissbegier und Lustgefühl sind dafür von Nutzen, wenn die Zielgruppe bis zum Ende am filmischen Geschehen beteiligt bleibt, das Ergebnis verinnerlicht und bei Bedarf nachvollziehbar darstellen kann. - Stand der Forschung und Praxis recherchieren und überprüfen
Bei der Themensuche ist auf die Möglichkeit zur fachlichen Überprüfung der Lerninhalte zu achten, da nach wissenschaftlichen Standards ausschließlich der Stand von Theorie, Forschung und Praxis gezeigt werden darf. Künstlerische Annäherungen müssen als solche erkennbar bleiben. Kunstwerke oder Künstlerpersönlichkeiten sprechen für sich oder werden durch die Expertise verschiedener Wissenschaften analysiert, kontextualisiert und eingeordnet. Ungeklärte Probleme, divergente Lösungsansätze, wiedersprechende Erklärungen sowie unterschiedliche Erfahrungshintergründe müssen als solche gekennzeichnet werden. Das kann durch Gegenüberstellung von Thesen, Erklärungsmodellen und Expertenmeinungen erreicht werden. - Erziehung zu Offenheit, Kritik- und Diskursfähigkeit
Lernfilme sollten weder in Teilen noch im Ganzen belehrend sein, sondern die Zuschauer und Zuhörer zu einer neugierigen kritischen Haltung gegenüber jeder Form von Wissensvermittlung und Erfahrungsbildung erziehen. Lernfilme sollten Wissenschaftskritik und eine offene Geisteshaltung fördern, da Wissen und Erkenntnis stets erweitert oder falsifiziert werden kann. Wo das nicht möglich ist, handelt es sich um Glaubensgrundsätze oder persönliche Meinungen, die als solche zu kennzeichnen sind. Was für eine Frage- bzw. Problemstellung als Antwort oder Lösung richtig ist, kann für ähnliche Fälle bereits zu missverständlichen oder falschen Aussagen führen. Daher ist es wichtig, dass jeder Lernfilm Rückschlüsse auf Rahmenbedingungen, Quellen und Denkstrukturen ermöglicht. Lernfilme sollen Diskussionen, Feedback und Reflexionen sowie kritische Bewertungen zu Inhalt, Form und Methoden anregen. - Evaluationskriterien und Ergebnissicherung
Die Konzeption von Lernfilmen beinhaltet die Bestimmung des Lernziels, was die Überprüfbarkeit des Lernerfolgs gewährleistet. Die Kriterien für die Evaluation und Bewertung des Lernerfolgs ergeben sich aus der Frage, ob und inwieweit die Lernenden der adressierten Zielgruppe das vorgegebene Lernziel erreicht haben. Die Aufstellung der Evaluationskriterien sollte am Beginn der Lernfilmkonzeption erfolgen, da sie wichtige Zielvorgaben im gesamten Konzeptions- und Produktionsprozesses bilden. Die Verschriftlichung der Kriterien kann in der Inhaltsangabe erfolgen, wodurch Lehrende und Lernende gleichermaßen Zielvorgaben für den Diskurs und die Evaluation des Lernerfolgs erhalten. Für die Ergebnissicherung ist es wichtig, die unterschiedlichen Zielstellungen von wissenschaftlichen und künstlerischen Lernfilmen in den Blick zu nehmen. Wurde die Form einer wissenschaftlichen Fragestellung gewählt, können konkretes Faktenwissen und Methodenkompetenz evaluiert werden. Wurde die Form einer künstlerischen Fragestellung gewählt, können themenbezogene Verstehensprozesse und Merkmale der Persönlichkeitsbildung evaluiert werden.
10 didaktische Kriterien für die Analyse, Beurteilung und Bewertung von Lernfilmen
Im Zentrum der Beurteilung und Bewertung von Lernfilmen steht der Lernerfolg. Die Analyse des Lernerfolgs muss objektiv durchgeführt werden und zur Bildung von nachvollziehbaren Bewertungskriterien führen. Ein guter Lernfilm sichert die im Vorfeld fixierten Lernziele bei der anvisierten Zielgruppe. Qualitätskriterium für einen guten Lernfilm ist das Maß des Lernerfolges, das im Vorfeld festgelegt und im Nachgang evaluiert werden kann.
- Definition des Lernziels: Wurde das Lernziel klar definiert? Welche Relevanz hat die Fragestellung des Lernfilms für die allgemeine oder fachliche Bildung?
- Filmrhetorisches Konzept: Erzeugt die Fragestellung und das Erscheinungsbild des Lernfilms Aufmerksamkeit und Interesse bei der Zielgruppe? Wurden das Lernvermögen und Lernverhalten der Zielgruppe zutreffend analysiert? Ist das Lernziel von der Zielgruppe erreichbar? Welche rhetorische Methode und welche rhetorischen Mittel werden zur Ansprache, Überzeugung und nachhaltigen Sicherung des Lernerfolgs bei der Zielgruppe eingesetzt?
- Inhaltliches Vermittlungskonzept: Welches Wissen und welche Erfahrungen sollen den Rezipienten durch den Lernfilm vermittelt werden? Sind die beschriebenen Inhalte für das Erreichen und die Sicherung des Lernziels notwendig und ausreichend? Sind die beschriebenen Inhalte gut recherchiert und durch Quellen abgesichert? Inwieweit dient das Storytelling dem Erreichen des Lernziels und der nachhaltigen Sicherung des Lernerfolgs?
- Methodisches Lehrkonzept: Ist eine Lehrmethode erkennbar und inwieweit dient diese dem Erreichen des Lernziels und der nachhaltigen Sicherung des Lernerfolgs?
- Mediendidaktisches Konzept: Ist das Storyboard emotional überzeugend, inhaltlich klar und methodisch sinnvoll strukturiert? Werden filmische Mittel wirksam für das Erreichen des Lernziels und die nachhaltigen Sicherung des Lernerfolgs eingesetzt? Wird die notwendige mediendidaktische Reduktion im Storyboard nachgewiesen? In welchem Kontext ist der Einsatz des Lernfilms besonders effektiv?
- Mediengestalterisches Konzept: Welche Funktion hat die mediale Gestaltung für das Erreichen des Lernziels und die nachhaltige Sicherung des Lernerfolgs? Werden die im Storyboard aufgeführten Gestaltungsideen und Darstellungstechniken methodisch sinnvoll eigesetzt? Inwieweit unterstützt die Form des Lernfilms die Vermittlung und den Diskurs des Inhalts?
- Medientechnisches Konzept: Gibt es eine realistische Planung für den zeitlichen, organisatorischen und technischen Ablauf der Filmproduktion (Konzeptphase, Planungsphase, Produktionsphase, Postproduktionsphase) und wie gut wurde diese vorbereitet?
- Qualität der Umsetzung: Welche ästhetische, inhaltliche und didaktische Qualität hat der Lernfilm? Wie hoch ist der Unterhaltungswert des Lernfilms und welchen Beitrag liefert dieser für das Erreichen des Lernziels und die nachhaltige Sicherung des Lernerfolgs? Wie effektiv ist das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen des Lernfilms für den Lernerfolg der Zielgruppe?
- Bildungswert: Welchen Bildungswert hat der Lernfilm für die Zielgruppe? Welchen Wert hat das Wissen für die allgemeine und fachliche Bildung der Zielgruppe? Welche Emotionen und Gefühle werden bei der Zielgruppe geweckt und gelingt hierdurch die Empathiebildung? Inwieweit ermöglicht der Lernfilm eine individuelle Förderung der Rezipienten? Gibt es Möglichkeiten zur Binnendifferenzierung unter Beachtung der kognitiven, sozialen, kulturellen und emotionalen Diversität der Zielgruppe?
- Evaluation: Inwieweit wurde das Lernziel durch die Filmrezeption erreicht? Erreicht der Lernfilm seine Zielgruppe? Wie wird der Lernfilm von der Zielgruppe bewertet? Gab es einen Diskurs zum Lernfilm und welche Rolle spielt dieser für den Lernerfolg? Wie nachhaltig ist der Lernerfolg?
Vollständiger Buchbeitrag in:
Bewegte Welt // bewegte Bilder
Friederike Rückert (Hrsg.)
Bewegtbilder im kunst- und medienpädagogischen Kontext
München 2018, 300 Seiten
ISBN 978–3-86736–428-7