Beitrag: WDR5 | Schul-Digitalisierung „braucht ganzheitliche Strategie“

Prof. Dr. Axel Buether war am 11. Dezember 2020 im Morgenecho (WDR 5) zum Thema „Schul-Digitalisierung braucht ganzheitliche Strategie“ zu hören. Er hat dort unter anderem die Fragen „Hat die Pandemie die Digitalisierung im Bildungssektor beschleunigt?“, „Woher kommen Hard- und Software für Schülerinnen und Schüler?“ und „Wer sorgt für die notwendigen Fortbildungen der Lehrerinnen und Lehrer?“ gesprochen.

Das Interview steht bis zum 11. Dezember 2021 auf der Seite des WDR 5 Morgenechos als Download bereit:



Im Sinne der Barrierefreiheit bieten wir das Interview hier als Transkript im Wortlaut.

Moderator
Im sogenannten Digitalpakt zwischen Bund und Länder hatten die Bundesregierung und der Bundestag vor zwei Jahren versprochen, die Digitalisierung an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland mit insgesamt fünf Milliarden Euro zu fördern. So weit, so viel. Jetzt hat man allerdings in der Corona Pandemie seit dem Frühjahr festgestellt, dass es immer noch nicht möglich ist, sämtlichen Schülerinnen und Schülern an allgemeinbildenden Schulen Online-Unterricht zu erteilen. Ganz einfach, weil nicht alle über Laptops, Notebooks oder Tablets mit der nötigen Software verfügen. Übrigens auch nicht alle Lehrerinnen und Lehrer. Und deshalb gibt es jetzt dafür zusätzlich 500 Millionen Euro. Nach NRW fließen 105 Millionen. Das Land selbst legt noch was drauf und die Kommunen auch. Da werden jetzt Geräte gekauft und die werden Schülerinnen und Schülern geliehen. Professor Axel Buether leitet an der Uni Wuppertal die Arbeitsgruppe Digitalisierung und Mediendidaktik in der Lehrerbildung und ihn habe ich vor der Sendung gefragt: Hat die Pandemie jetzt das stark beschleunigt, was viel zu lange allenfalls vor sich hingerumpel ist?

Prof. Dr. Axel Buether
Das kann man so sagen. Ich denke, alle Schulen in Deutschland machen jetzt mit Hochdruck ihre Konzepte zur Digitalisierung und versuchen auch, sich zu verkabeln, anzuschließen, Softwarelösung, Hardwarelösungen zu finden. Das hat ganz schön Schwung in die Sache gebracht.

Moderator
Diese Idee Geräte zu verleihen. Finden Sie das gut?

Prof. Dr. Axel Buether
Ich finde das nicht gut. Und wir haben auch viele Partnerschulen, mit denen wir quasi forschen und gucken, was sind Konzepte, die funktionieren. Aber man muss das ja von mehreren Perspektiven sehen. Also einmal die Frage: Wer kann sich ein eigenes Gerät leisten? Und die andere Frage: Wie viel Geld hat der Staat um tatsächlich auch Schüler flächendeckend auszustatten?

Moderator
Ja, aber wenn verliehen wird, heißt doch: Wird an alle verliehen. Dann gibt’s auch keine Unterschiede mehr in der Ausstattung bei den Schülerinnen und Schülern.

Prof. Dr. Axel Buether
Wir können das ja mal für NRW kurz durchspielen. Wir haben in NRW an allgemeinbildenden Schulen 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler. Ja, das ist, wenn man irgendwie überlegt, allein 22,6 Prozent davon sind armutsgefährdet. Das ist natürlich eine große Frage: Wie statten wir die aus? Wenn wir jetzt ausstatten jedes Kind in NRW, dann kommen wir mit diesem ganzen Etat, was wir jetzt haben, natürlich nicht weit. Das heißt, wir haben bei 105 Millionen Euro, die wir haben, landen wir dann bei 42 Euro pro Schüler. Also eine flächendeckende Ausstattung mit Leihgeräten ist damit erst einmal gar nicht möglich. Wenn wir jede Schule in NRW ausstatten – 5200 allgemeinbildende Schulen – dann kriegen wir pro Schule 50 iPads. Auch das würde nicht mal für die armutsgefährdeten Kinder reichen. Also insofern ist die Idee der Leihgeräte sehr sehr schwierig mit den vorhandenen Mitteln umzusetzen.

Moderator
Das heißt also, es gibt jetzt bei dieser großen Ankündigung viel Schein und wenig Sein?

Prof. Dr. Axel Buether
Naja, es ist auf jeden Fall eine große Anstrengung, muss man sagen, weil die letzten Jahre natürlich alles verschlafen worden ist. Das heißt, wenn wir das jetzt seit zehn Jahren kontinuierlich aufgebaut hätten, dann hätten wir jetzt nicht so ein Problem. Jetzt natürlich. Sie merken ja, bei den Größenordnungen, über die wir reden, kommen wir natürlich in Finanzierungsgrößenordnungen, die kann sich kaum jemand leisten. Also nicht mal mit Corona Pandemie. Aber auch sonst wäre das schon hart, weil das ist ja auch nicht damit getan, wenn jetzt jeder ein iPad in die Hand gedrückt bekommt oder ein anderes Gerät von Microsoft oder Google, sondern es geht ja dann erst richtig los.

Moderator
Nämlich was ist dann noch nötig?

Prof. Dr. Axel Buether
Ja, wir können ja schon mal überlegen, das Lehrpersonal muss geschult werden. Es ist also jetzt über die letzten Jahrzehnte eigentlich nicht drauf geachtet worden, an den Universitäten das Lehrpersonal in diesem Bereich Digitalisierung zu schulen. Das heißt, wir haben in NRW rund 160.000 Lehrerinnen und Lehrer, die man jetzt alle quasi a) freistellen müsste für Schulungen und b) müsste man natürlich Schulungsangebote machen. Und da merkt man schon, wir haben gar nicht genügend Schulungspersonal, was das durchführen könnte. Und wir haben natürlich auch nicht genügend Ersatz-Lehrerinnen und -Lehrer, die ein Prinzip diese Freistellung dann irgendwie vertreten könnten. Das heißt, auch da haben wir ein Engpass, den wir uns selber verschuldet haben durch zu wenig Aktionen in den letzten Jahren. Das wäre also der zweite Engpass, aber auch nicht der letzte in diesem Bereich. Da gibt’s noch mehr Fallstricke.

Moderator
Ja, nämlich? 

Prof. Dr. Axel Buether
Der dritte große Fallstrick, den ich jetzt sehe, ist tatsächlich die Ausstattung der Schulen mit IT-Personal. Weil im Moment machen das jetzt meistens die eine oder andere Lehrerinnen oder der Lehrer mit ein paar Freistunden oder viel in ihrer Freizeit. Das kann man machen, wenn man ein paar Rechner hat von Kolleginnen und Kollegen, die man vielleicht wartet oder das ein oder andere. Aber wenn man jetzt sich vorstellt eine mittelgroße Schule, vielleicht 1000, 2000 oder noch mehr Schülerinnen und Schüler entsprechend 100, 200, 300 Lehrerinnen und Lehrer, dann merkt man: Das kann niemand mehr in seiner Freizeit oder vielleicht ein paar Freistunden warten. Das heißt, wir brauchen IT-Fachkräfte an Schulen. Ich schätze mal, dass wir bei 5000 allgemeinbildenden Schulen dann auch ungefähr 5200 Fachkräfte brauchen, also Informatikerin und Informatiker die wir einfach nicht haben. Der Markt ist leergefegt, die kriegen wir also gar nicht her. Und wenn wir rechnen für eine Fachkraft an der Schule 50.000 Euro Jahreseinkommen, was im Schnitt für einen Informatiker nicht viel ist, dann kommen wir auf eine Summe von 260 Millionen Euro pro Jahr, hab ich mal durchgerechnet. Das heißt, auch da würden wir schon ein Problem haben, was noch nicht bedacht ist und was auch nochmal diskutiert werden müsste.

Moderator
Was würden Sie der Landesregierung und den Schulämtern, die ja für die Ausstattung zuständig sind, zum jetzigen Zeitpunkt empfehlen?

Prof. Dr. Axel Buether
Naja, ich denke es passiert schon das Richtige. Also es wird auf jeden Fall was getan. Das finde ich gut. Aber wenn man so weiter erfolgreich jetzt digitalisieren möchte, brauchte man auf jeden Fall eine ganzheitliche Strategie, bei dem man auch diese Dinge in den Blick nimmt. Also ein großer Punkt ist ja auch die Abhängigkeit von entsprechenden Hardware- und Software-Anbietern. Was ich für ein ganz großes, ungelöstes Problem halte. Das heißt, da gibt es nur wenige. Und dann ist auch die Frage, was passiert mit den Daten? Zum Beispiel wie sicher sind die? Was passiert mit der rechtlichen Absicherung der Lehrerinnen und Lehrer? Wie kriegen wir zum Beispiel jetzt entsprechende Programme hin, mit denen gelernt wird oder didaktische Strategien? Unsere Schulbuchverlage machen im Moment ungefähr 5 Prozent ihres Umsatzes mit digitalen Materialien, also 95 Prozent ist das klassische ausgedruckte Schulbuch. Die haben also so gut wie nicht gearbeitet in dem Bereich, weil es einfach keinen Bedarf an den Schulen gibt. Da gibt es also, wenn wir jetzt digitale Schulbücher haben, steht immer vorne ganz groß auf dem Programm drauf: Da ist nicht mehr drin als im gedruckten Buch. Darf man auch nicht, weil es im Prinzip ja auch abgesichert werden muss. Durch die Ministerien wird ja der Inhalt gewährleistet und in diesem Bereich haben wir auch einen riesen Aufholbedarf.

Moderator
Professor Axel Buether von der Uni Wuppertal leitet da die Arbeitsgruppe Digitalisierung und Mediendidaktik in der Lehrerbildung.

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